Sehr geehrte Frau Kiermaier,
die Stadtregierung hat sich noch nie als „handlungsunfähig“ dargestellt, sondern im Gegenteil Handlungsfähigkeit bewiesen – beispielsweise mit dem größten kommunalen Wohnungsbauprogramm der Bundesrepublik Deutschland, mit dem laut internationalen Vergleichsstudien besten öffentlichen Personennahverkehr und einem großen Bündel umweltpolitischer Maßnahmen, wie beispielsweise der Umweltzone oder dem LKW-Sperrkonzept. Allerdings hat die Stadtpolitik nicht auf alles so viel Einfluss wie sich manche wünschen. Sie kann beispielsweise nicht verhindern, dass private Unternehmen auf privatem Grund private Bürogebäude errichten und dass im Gewerbe- wie auch Wohnungsbau vorhandenes Baurecht ausgeschöpft wird, auch wenn es dem Nachbarn nicht gefällt. Was Gewerbegebiete betrifft, hat die Stadt es seit einiger Zeit und in Zukunft verstärkt mit der Umwandlung von Gewerbe- in Wohngebiete zu tun, auf solchen Arealen werden schätzungsweise 7.000 Wohnungen errichtet werden können. Ich kann Ihnen versichern, dass Denkmalschutz, Naturschutz und Mieterschutz in München keinesfalls bedeutungslos geworden sind.
Für einen ersten Überblick, was die Stadt bereits getan hat, um Bauwerke und Orte zu schützen, die Münchens besonderes Flair ausmachen, möchte ich Ihnen die Broschüre „Münchner Originale" ans Herz legen, die Sie unter www.muenchen.de/originale auch online abrufen können.
Aber Sie haben selbstverständlich Recht, München steht vor großen Herausforderungen. Aufgrund des großen Angebots an qualifizierten Arbeits- und Ausbildungsplätzen werden in den nächsten Jahren noch mehr Menschen nach München ziehen. Allein im Zeitraum von 2006-2011 ist München um 85.000 Einwohner gewachsen und zählt nun mehr als 1,4 Mio. In den nächsten 20 Jahren bis 2030 sollen weitere 150.000 Menschen dazukommen. München wächst aber nicht nur durch Zuzug sondern auch durch einen erfreulichen Geburtenüberschuss. Da stellen Sie ganz zu Recht die Frage, ob es der Stadt München unter diesen Rahmenbedingungen weiterhin gelingen wird, den hohen Erwartungen ihrer Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden, die Funktionalität der städtischen Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, zur Chancengleichheit für alle Bevölkerungsgruppen beizutragen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und die Lebensqualität in der Stadt zu erhalten.
Grundsätzlich ist die Prosperität für eine Stadt ja etwas Positives. Wer Probleme schrumpfender Städte wie Ausdünnung der Infrastruktur, Leerstand, Stadtverfall, Abwanderung, Verarmung, Vergreisung und die damit verbundene Abwärtsspirale kennengelernt hat, schätzt Wachstum. Dessen Lasten sind in der Regel leichter zu bewältigen, als die Lasten von Schrumpfung. Positive Aspekte sind die gute Auslastung der sozialen und technischen Infrastruktur: keine Leerstände, kein Stadtverfall, kein Rückbau, gebremste Alterung der Stadtgesellschaft. Zum anderen entstehen einer Kommune durch das Wachstum durchaus hohe Kosten. So wird in den Wohnungsbau investiert, um den Mangel an bezahlbarem Wohnraum insbesondere für Familien und Ältere abzumildern. Der Finanzierungsrahmen des kommunalen Wohnungsbauprogramms ist für die nächsten fünf Jahre extra von bislang 625 Mio. € auf 800 Mio. € aufgestockt worden. Dazu kommen hohe Kosten für den Ausbau von sozialer und verkehrlicher Infrastruktur. Für die Ausbauoffensive der Kinderbetreuungseinrichtungen investiert die Stadt allein bis 2013 100 Mio. €. Im Verkehrsbereich steht die Sanierung der U-Bahn an. Bis 2020 müssen knapp 1,5 Mrd. € in die Erneuerung der Infrastruktur sowie den Wagenpark investiert werden. Im Münchner Osten will sich die Stadt an den Kosten eines Tunnels für die Flughafenanbindung auf der Linie der S8 beteiligen. Vom Freistaat fordert sie die Realisierung der versprochenen 2. Stammstrecke ein, die die wichtigste Maßnahme wäre, um den nicht nur aus Ihrer Sicht an seine Grenzen geratenden ÖPNV leistungsfähig zu halten.
Bei einem zentralen Zukunftsprojekt des Planungsreferats, der „Langfristigen Siedlungsentwicklung“ geht es darum, wie längerfristig vor dem Hintergrund knapper werdender Flächen noch Wohnraum geschaffen werden kann. Eine engere und kooperative Zusammenarbeit von Stadt und Umland wird dabei immer wichtiger, um bei dem in München so zentralen Thema des Wohnungsbaus praktikable Lösungen zu finden.
Ihren Eindruck, dass in München keine Gewerbeflächen mehr benötigt würden, kann ich nur in soweit bestätigen, als im Bürobereich zwar eine Leerstandsquote von 8 % besteht, dies ist aber ein ganz besonders niedriger Wert – bundesweit sogar der niedrigste. Für das zusätzliche Angebot an Arbeitsplätzen werden auch Flächen für das produzierende Gewerbe benötigt, beispielsweise für die Erweiterung bestehender Betriebe, was ja wichtig ist, um auch solche Arbeitsplätze in München zu halten.
Zu den großen Herausforderungen für München zählt auch die Umsetzung der Klimaschutzziele. Der Stadtrat hat deshalb die Reduzierung der CO2-Emissionen um 10% alle 5 Jahre und die Halbierung der CO2-Emissionen pro Kopf auf Basis des Jahres 1990 bis spätestens 2030 festgelegt. Die Stadtwerke werden deshalb bis 2015 so viel Ökostrom produzieren, dass der gesamte Münchner Strombedarf – immerhin 7,5 Mrd. kWh – gedeckt werden kann. München wird damit weltweit die erste Millionenstadt sein, die dieses Ziel erreicht.
Die auch von Ihnen beschriebenen Herausforderungen zeigen, dass starkes Bevölkerungswachstum genauso zur Gefahr werden kann wie Schrumpfung und in kompliziertem und teilweise widersprüchlichem Verhältnis zur Lebensqualität steht. Da stellt sich schon mal die Frage, wann der Punkt erreicht ist, an dem die Lebensqualität abnimmt und die Anstrengungen für die Stadt immer höher werden, die Begleiterscheinungen des anhaltenden Wachstums zu bewältigen. Ob wir wachsen oder schrumpfen hängt von vielen Faktoren ab, auf die wir größtenteils keinen Einfluss haben. Für wachsende und schrumpfende Städte gilt aber gleichermaßen: Es kommt darauf an, den Spielraum gut zu nutzen, den wir dabei haben! Hauptaufgabe wird es sein, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig die Lebensqualität in den Stadtvierteln zu erhalten. München soll auch in Zukunft eine lebenswerte und sozial ausgeglichene Stadt bleiben. Wie dies am Besten erreicht werden kann – dazu hat die Stadt jetzt unter dem Motto „MitDenken. Gemeinsam die Stadt verändern" einen Bürgerdialog zur Stadtentwicklung gestartet.
Wo und wie wollen wir in Zukunft wohnen? Wie können wir in der Nachbarschaft und im Stadtviertel gut zusammenleben? Wie können wir mobil bleiben, ohne Umwelt und Nachbarn mit Lärm und Abgasen zu belasten?
Ich lade Sie herzlich ein, diskutieren Sie mit uns diese zentralen Fragen. Sie können sich unter www.muenchen-mitdenken.de über die anstehende Fortschreibung unseres Stadtentwicklungskonzepts "Perspektive München" informieren und an einer Online-Umfrage teilnehmen. Vom 16. April 2012 bis 11. Mai 2012 können Sie dann auf dieser Plattform auch online diskutieren, Ihre Ideen einbringen und Vorschläge anderer kommentieren und bewerten. Falls Sie lieber vor Ort über die Stadtentwicklung mit diskutieren möchten, können Sie das gerne auf einer der drei öffentlichen Veranstaltungen in den Stadtbezirken tun. Die Termine dazu finden Sie ebenfalls unter www.muenchen-mitdenken.de.
Ich würde mich freuen, wenn Sie von diesem Angebot Gebrauch machen und sich an der großen Debatte über die Zukunft unserer Stadt beteiligten – Ihr an mich gerichtetes Schreiben sehe ich bereits als Teil davon und habe es daher ans Planungsreferat weitergegeben, wo alle Anregungen zu diesem Thema zusammenfließen.
Mit freundlichen Grüßen

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am 09. Januar 2012
1.
am 31. Januar 2012
2.
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