Sehr geehrter Herr Schmidt,
vielen Dank für Ihre Frage auf „direktzu“, in der Sie eine Umbenennung der Treitschkestraße in München in Lion-Feuchtwanger-Straße vorschlagen.
Heinrich von Treitschke gilt auch heute in Fachkreisen als bedeutender Historiker, der zwar keine eigene Schule begründete, aber etwa durch seine fünfbändige „Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“ der Geschichtswissenschaft wichtige Impulse gegeben hat.
Zu Recht weisen Sie aber auf Treitschkes fragwürdige Haltung gegenüber den Juden hin. Aus heutiger Sicht war Treitschke sicherlich ein Nationalist und Antisemit; seine Äußerungen müssen aber im historischen und politischen Kontext des 19. Jahrhunderts gesehen und bewertet werden. Treitschke selbst hatte sich nie als Antisemit gesehen und der Historiker Golo Mann charakterisierte Treitschkes Haltung durchaus differenziert: „Zugleich mit der Judenemanzipation, der neuen bürgerlichen Angleichung, erscheint der neue Antisemitismus. Aber er ist zunächst nicht das, was wir uns darunter vorstellen; er verlangt nicht Ausschließung, sondern völlige Angleichung und Bescheidenheit in der Angleichung; er verlangt Ausschließung nur derer, die sich nicht angleichen wollen. Ich will Ihnen für diese Ansicht, diese Haltung nur ein merkwürdiges Beispiel geben, das des deutschen Historikers Heinrich von Treitschke. Dieser große Schriftsteller gilt gemeinhin als Antisemit, und das war er auch; dennoch hätten etwa die Nazis mit seinem Antisemitismus durchaus nichts anfangen können. Treitschke war ein leidenschaftlicher, zorniger Patriot, sehr entschieden in seinem Urteil, aber mit einem schönen Sinn für das Gerechte und Wahre; etwas Unwahres, etwas Gemeines wäre nie aus seiner Feder gekommen. Und so sah Treitschke nur eine mögliche Lösung der Judenfrage in Deutschland: völliges Aufgehen des zahlenmäßig so geringen Judentums im Deutschtum, Preisgabe jedes eigenen jüdischen Lebensstiles.“
Auch der von Ihnen zitierte Satz „Die Juden sind unser Unglück“ aus Treitschkes Aufsatz „Unsere Aussichten“ von 1879 sollte gerade nicht seine eigene Einstellung wiedergeben, sondern den von ihm bekämpften „Radau-Antisemitismus“ charakterisieren. Seine Inanspruchnahme und Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten ist für die Stadt nicht Grund genug, eine Straßenumbenennung zu veranlassen.
Was Ihren Vorschlag anbelangt, die Treitschkestraße in Lion-Feuchtwanger-Straße umzubenennen, darf ich Ihnen mitteilen, dass es in München bereits seit dem Jahre 1964 eine „Feuchtwangerstraße“ gibt. Die amtliche Namenserläuterung lautet:
„Feuchtwanger, Münchner Bürgerfamilie, die namhafte und um das kulturelle und wirtschaftliche Leben der bayer. Landeshauptstadt verdiente Mitglieder aufzuweisen hat und in der Zeit des Dritten Reiches schweren politischen Verfolgungen aus rassischen Gründen ausgesetzt war.“
Mit freundlichen Grüßen

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